Das schwerste Unglück am Mount Everest – meine Meinung
Kapitel in diesem Beitrag:
Heute – am Karfreitag 2014 – lese ich die Nachricht, dass am Mount Everest auf 5800 Metern Höhe mindestens 12 Menschen ums Leben gekommen sind. Einige weitere sind noch in der Lawine verschüttet, die die ganze Gruppe unter sich begraben hat. Die Lawine ist im sogenannten “Popcorn-Feld” – knapp unter Camp 2 – auf die Sherpas getroffen. Die hohe Zahl der Opfer an sich ist zwar schon schlimm genug, aber der Punkt, der mich besonders betroffen macht, ist die Tatsache, dass es sich bei den Opfern allesamt um Sherpas handelt, die Fixseile für die kommenden Anstürme der “Bergsteiger” eingerichtet haben, die jedes Jahr in Hundertschaften auf den Gipfel des Mount Everst wollen.
Sport, Extremsport, extrembescheuert?
Nein, ich habe nichts gegen Extremsport und ich finde auch Bergsteigen nicht bescheuert – ganz im Gegenteil! Aber: Ich finde es tragisch, wenn Menschen ums Leben kommen. Noch viel tragischer finde ich allerdings, wenn sie ums Leben kommen, um den Aufstieg für die Leute zu vereinfachen, die später an den Fixseilen hochmaschieren und sich auf dem Gipfel gegenseitig auf die Schulter klopfen, weil sie ja jetzt den “höchsten Berg der Welt” bezwungen haben. Aus meiner Sicht haben diese Aktionen mit dem eigentlichen Geist der Bergsteigerei nichts mehr zu tun. Hier geht es nur darum, einen Rekordberg zu bezwingen, um damit sein Ego aufzupolieren oder vor seinen anderen “Extremsportkumpels” anzugeben.
Sicher, man kann mir nun vorwerfen, dass ich auch Kletterrouten hochturne, die letztendlich von anderen eingebohrt wurden. Es ist also nicht mein Verdienst, dass ich dort oben am Umlenker ankomme. Aber ich weiß wenigstens, dass die Leute, die die Route mal erstbegangen und eingebohrt haben, dies aus freien Stücken und nicht unter Lebensgefahr gemacht haben, weil sie damit das Geld verdienen müssen, mit dem sie ihre Familien ernähren. Wenn dies der Fall wäre, würde ich solche Routen sicher meiden und mich auf die beschränken, die nicht auf Kosten anderer Menschen eingebohrt wurden. Es ist das Risiko der Routenabsicherung, das durch die Sherpas zwangsweise für Geld übernommen wird, um den eigentlichen “Bergsteigern” ihren Weg einfacher und risikoärmer zu machen.
Der Everest-Tourismus – ein seltsamer Auswuchs der Bergsteigerei
Aber genau hier liegt der Knackpunkt im Everest-Tourismus: Auf der einen Seite stellen die Sherpas ihre Arbeit gegen Geld zur Verfügung, da sie dies benötigen, um ihre Familien zu ernähren. Ich unterstelle ihnen einfach mal, dass sie sich im Himalaya gut auskennen und sich der ständigen Gefahr und des Risikos bewußt sind, das sie eingehen. Auf der anderen Seite sind die Touristen, denen es nicht um die Besteigung von einem schwierigen Berg geht (denn dann würden sie sich ein paar schöne Wände in den Alpen anschauen, die mehr Grips und Kletterkönnen verlangen als der Everest), die aber diesen Rekordberg auf alle Fälle und um jeden Preis in ihr Gipfelbuch schreiben möchten. Hier stößt Kommerz immer mehr auf Leute, die eigentlich nicht in der Lage sind, den Everest aus eigener Kraft zu bezwingen und den dazu der Ehrgeiz nach Eigenleistung abhanden gekommen ist. Daß dabei eine gewisse Kletterer- und Bergsteiger-Ethik auf der Stelle bleibt, ist diesen “Bergsteigern” in der Regel egal – die 8848 Meter Gesamthöhe stehen hier auf dem Spiel und entsprechend versucht man mit allen finanziellen und technischen Mitteln, auf den Gipfel zu kommen.
Sherpas – nur die “Dienstleister” am Berg?
Die Sherpas sind hier also nur Mittel zum Zweck, denn sie sind jedes Jahr dafür verantwortlich, schwierige Passagen mit Fixseilen zu sichern und die besten Wege durch den Khumbu-Eisfall zu finden. Aus meiner Sicht, ist die Besteigung des Everest nur noch ein Kampf gegen die Lungenembolie, gegen die Kosten für das Permit und gegen die anderen Bergsteiger, die einem durch ihr “im Weg sein”, den Gipfelerfolg “versauen” könnten. Dass dort oben Kameradschaft oft auf der Strecke bleibt, konnte man schon im Buch “In eisige Höhen” von John Krakauer lesen.
Und nun hat der kommerzielle Everest-Tourismus wieder einmal Opfer gefordert – leider wieder unter denen, für die die Besteigung des Everest kein Erlebnis sondern nur ihr täglich Brot ist. Das sie jedoch die sind, die den vielen erfolgreichen Gipfelstürmern den Weg geebnet haben, wird nur allzu oft vergessen. Aus dem Grund sollte man häufiger mal an diese unermüdlichen Helfer denken, bevor man sagt, man habe den Everest geschafft…
Kritische Stimmen zum Pauschaltourismus am Everest
Wer ein bisschen kritischer an das Thema Pauschaltourismus und Vermüllung am Mount Everest herangehen möchte, dem kann ich das Buch “Der höchste Berg: Traum und Albtraum Everest” von Walther Lücker empfehlen. Er beschreibt darin nicht nur die spannende Geschichte der Besteigungen am Mount Everest sondern kritisiert auch den Massenansturm, dem der Berg jedes Jahr aufs Neue ausgesetzt ist.
Aber auch Reinhold Messner hat sich ja in verschiedenen Interviews und Artikeln schon zu dem Thema Tourismus am Mount Everest geäußert. In seinem Hörbuch “Everest – Himmel, Hölle, Himalaya” beendet er seinen Vortrag mit dem unmissverständlichen Appell an ein Freihalten der Bergwelt vor kommerziellen Interessen. Welche “Blüten” dieser Kommerz zu Tage bringt, zeigt dass mittlerweile sogar schon geplant wird, Leitern am Hillary Step (siehe hier) – einer steilen und schweren Passage kurz unterhalb des Gipfels – anzubringen, damit die immer wieder auftretenden Staus durch die Massen an Gipfelaspiranten, vermieden werden können. Allein dies zeigt doch schon, wie krank die ganze Bergsteigerei am Everest geworden ist.
Aber das ist nur meine subjektive Meinung. Ich möchte damit nicht zu Diskussionen auffordern oder mich in meinen Ansichten bekehren lassen. Es darf sich jeder seinen Teil denken und wer mag, darf auch seine Meinung in seinem Blog kundtun… ich bin mir bewußt, dass der Everest-Tourismus auch zu wichtigem Einkommen auf Seiten der Sherpas beiträgt, aber die Frage ist, ob man als Bergsteiger noch gute Gewissen auf einen Berg klettern und ihn als “Gipfelerfolg” verbuchen kann, wenn man sieht, dass Einheimische extrem gefährliche Sicherungsarbeiten durchführen müssen, damit man selbst heil oben ankommt. Und diese Frage darf sich jeder Mount-Everest-Besteiger gerne selbst beantworten…
Medien zum Thema
Hier noch die in diesem Beitrag genannten Bücher und Hörbücher in einer Liste:
- Krakauer, Jon (Autor)
Letzte Aktualisierung am 2023-07-20 at 08:22 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API
In eisige Höhen. Das Drama am Mount Everest – 1996 nahm der amerikanische Journalist Jon Krakauer an einer Mount-Everest-Expedition teil. Das Unternehmen endete in einer Katastrophe, fünf von Krakauers Kameraden kamen auf tragische Weise in einem peitschenden Schneesturm ums Leben, er selbst konnte sich mit letzter Kraft in Sicherheit bringen. Minutiös und eindrucksvoll schildert er in diesem Bericht den Verlauf der Expedition. Er äußert sich außerdem kritisch über die Auswüchse des modernen Alpinismus mit seinen oft tödlichen Folgen, vermittelt aber zugleich einen Eindruck von der magischen Anziehungskraft und der Faszination des Bergsteigens.
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Der höchste Berg: Traum und Albtraum Everest – Der Journalist, Autor und Bergsteiger Walther Lücker rollt die Geschichte auf, kritisiert die Vermüllung und den Massenansturm, der 2012 einen neuen Höhepunkt erreichte und in einer der schlimmsten Bergkatastrophen mit zehn Toten gipfelte. Er dokumentiert, welchen Stellenwert der Gipfel mit seinen 16 verschiedenen Routen für die erfahrensten Alpinisten hat: mit Fotos und eindrucksvollen Originalbeiträgen u.a. von Billi Bierling, Kurt Diemberger, Ralf Dujmovits, Peter Habeler, Norbert Joos, Gerlinde Kaltenbrunner, Hans Kammerlander, Reinhold Messner und Simone Moro.
- Audio-CD – Hörbuch
- Audiobuch Verlag (Produzent) - Messner, Reinhold (Autor)
- 2 Seiten - 02/01/2011 (Veröffentlichungsdatum) - steinbach sprechende bücher (Herausgeber)
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Everest – Himmel, Hölle, Himalaya – Reinhold Messner bestieg als erster Mensch alle Achttausender. In seinem Vortrag erzählt er, wie er den höchsten von ihnen bezwang: den Mount Everest. Er gibt auch einen geschichtlichen Einblick in die ersten Versuche, den Everest zu bezwingen. Außerdem berichtet er von Todesangst am Berg in 8.000 Metern Höhe, Begegnungen mit Einheimischen und von der Legende des Yeti. Das informative wie spannende Hörerlebnis ist nun in dieser preiswerten Sonderausgabe erhältlich.